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„Must-Haves“ und andere Irrtümer – Warum ich nicht mehr in die Vatikanischen Museen gehe (zumindest nicht immer)

Spiraltreppe Vatikanische Museen - Foto: Iwona Kowalczyk
Spiraltreppe Vatikanische Museen - Foto: Iwona Kowalczyk

In der vergangenen Woche erhielt ich eine Anfrage von einer Familie, die Ende Mai nach Rom reisen möchte. Sie waren durch Gäste, die bereits mit mir unterwegs waren, auf mich aufmerksam geworden – eine Empfehlung, über die ich mich sehr gefreut habe. Ich schickte ihnen einige Vorschläge: Führungen abseits der bekannten Routen, Orte, die nicht in jedem Reiseführer stehen, und Geschichten, die man nicht googeln kann.


Doch die Antwort kam schnell: Sie würden sich dann doch gerne auf die „Must-Haves“ konzentrieren – das Kolosseum und die Vatikanischen Museen.


Nicht, weil der Sohn sich für die Geschichte Caesars begeistert. Nicht, weil die Tochter die Fresken Michelangelos liebt. Auch nicht, weil ein besonderes Interesse an römischer Antike oder der Malerei der Renaissance bestünde.


Sondern weil man es eben „gesehen haben muss“.


Und in diesem Moment, das spürte ich deutlich, zog sich mir der Magen zusammen. Und ich traf eine Entscheidung.


Eine Entscheidung mit Konsequenz


Nicht, weil ich diese Orte nicht liebe. Sondern weil ich sie genau deshalb nicht mehr auf diese Weise zeigen möchte.

Touristen Massen in der Galleria der Kandelaber, VatikanischeMuseen
Touristen Massen in der Galleria der Kandelaber, Vatikanische Museen

Die Museen sind zu voll, zu laut, zu gedrängt. Ein Spaziergang durch die Stanzen Raffaels wird zum Durchgeschobenwerden. Erklärungen? Kaum möglich. Innehalten? Unmöglich. Gespräche? Nicht vorgesehen.


Vor wenigen Tagen war ich zweimal an einem Tag dort: einmal mittags – ein einziger Kraftakt. Wir wurden umgeleitet, gedrängt, geschoben. Selbst ich als Guide durfte kaum stehen bleiben. Die Besucher wurden zu reinen Passanten gemacht.


Am Abend war ich mit einer kleinen privaten Gruppe dort – bei einer Sonderöffnung nach 18:30 Uhr, wenn die Türen für alle anderen geschlossen sind. Eine Freundin hatte sich diese Führung zu ihrem Geburtstag gewünscht.


Wir waren allein vor dem Laokoon. Allein mit dem Apoll von Belvedere. Allein in der Galerie der Landkarten. Allein in der Schule von Athen.


Das ist ein Erlebnis. Das ist ein Moment, der bleibt. Aber tagsüber, im Mai? Im Juni? Im Oktober? Nein.


Kunst ist kein Checkpunkt


Belvedere Torso ohne Massen, Vatikanische Museen
Belvedere Torso ohne Massen, Vatikanische Museen

Ich sage das ganz bewusst: Wer die Kunstwerke der Vatikanischen Museen wirklich sehen will – weil sie ihn interessieren, weil ihn Michelangelo oder Raffael oder die Antike berühren – der ist bei mir nach wie vor willkommen. Dann gehen wir dorthin, wo es möglich ist: in die Pinakothek. In die Antikensammlung. Oder wir sprechen bei einem Kaffee in Ruhe über die Sixtinische Kapelle, bevor Sie sich auf eigene Faust ins Gedränge wagen.


Oder wir gehen gemeinsam dorthin, wenn niemand da ist: im späten Januar, im frühen Februar, im November. Dann gehört der Vatikan wieder ein Stück weit uns – und der Kunstgenuss ist nicht nur Theorie.


Und ja: Wer sich etwas ganz Besonderes schenken will, kann auch eine Sonderöffnung buchen. Es ist teuer – aber es ist auch ein Erlebnis, das unbezahlbar wirkt.


Der Ausdruck, den ich nicht mehr hören will


„Must-Haves“ – das ist für mich zu einem Synonym geworden für das, was ich in meiner Arbeit nicht (mehr) machen möchte. Ich weiß, es ist nicht böse gemeint. Aber es verweist auf eine Haltung: dass Orte konsumiert werden, dass es eine Liste gibt, die abgearbeitet werden muss, bevor man wieder abfliegt. Dabei wird vergessen, dass Orte Geschichten erzählen – und Geschichten brauchen Zeit, Ruhe, Offenheit.


Was bleibt


Ich liebe Rom. Ich liebe den Vatikan. Ich liebe das Kolosseum, die Antike, die Kunst. Aber ich liebe sie nicht als Pflichtprogramm. Sondern als Möglichkeit: zum Staunen, zum Verstehen, zum Eintauchen.

Menschenleerer Petersplatz zu Zeiten von Covid
Menschenleerer Petersplatz zu Zeiten von Covid

Und genau das möchte ich meinen Gästen bieten – oder eben nicht.


Vor einigen Tagen ist ein neuer Papst gewählt worden: Leo der Vierzehnte. Die Aufmerksamkeit auf den Vatikan wird wieder zunehmen. Noch mehr Menschen werden kommen. Noch mehr Menschen werden die „Must-Haves“ sehen wollen.


Ich hoffe, einige davon möchten auch mehr sehen.

 
 
 

1 Comment


Claudia Hinze
Claudia Hinze
vor 5 Tagen

Liebe Agnieszka,

danke für deinen Worte zu diesem wichtigen Thema. Wie so oft, haben sich mich mitten ins Herz getroffen. Ich habe sie gelesen und jedes gefühlt. Du hast mir bereits gezeigt, dass Rom viel mehr ist als all die großen Namen, lauten Plätze und vollen Gassen. Du hast mir geholfen, die Seele dieser Stadt zu spüren – hinter den Fassaden, in den leisen Ecken und in den Geschichten, die man nicht googeln kann. Ich erinnere mich, wie leicht es war, dir zuzuhören und wie tief deine Erzählungen nachgewirkt haben. Es war, als würde man zum ersten Mal wirklich sehen, was diese Stadt ist – fernab vom „Pflichtprogramm“ und fernab vom Lärm. Danke dafür und dass du mutig genug bist,…

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